Mineralien, Fossilien
Geologie im Alpstein
 

KRISTALLHÖHLE KOBELWALD

 

1. Einleitung

Im St. Galler Rheintal nahe Oberriet befindet sich eine der attraktivsten Schauhöhlen der Schweiz: die Kristallhöhle Kobelwald. Sie ist oberhalb des Weilers Kobelwald am Fusse des nordöstlichen Ausläufers des Alpsteins gelegen. Die Höhle gehört zu den am frühesten bekannten Mineralfundstellen der Schweiz und enthält eines der grössten Minerallager dieses Landes. Die Kristallhöhle von Kobelwald ist im Geotopinventar des Kantons St. Gallen sowie im Schutzplan der Gemeinde Oberriet aufgeführt.

Die Höhle ist im Besitz der Ortsgemeinde Montlingen. Als Schauhöhle wird sie durch den Verkehrsverein Kobelwald unterhalten und betrieben. Sie zieht alljährlich tausende Besucher in ihren Bann. Die Höhlenatmosphäre, die Kristalle, die Tropfsteine, das rauschende Wasser sowie die Lichtverhältnisse üben eine grosse Faszination aus. Es handelt sich um die einzige touristisch erschlossene, Wasser führende Höhle mit einem grossen Calcitvorkommen der Schweiz.

Fussweg zur Kristallhöhle Kobelwald. Foto: Thomas Kühnis.

 

2. Geschichte der Kristallhöhle

2.1 Entdeckung der Höhle und erste Beschreibungen

Nach dem Volksmund wurde die Kristallhöhle Kobelwald im Jahre 1682 von einem Jäger entdeckt. In der Literatur wurde sie schon früh erwähnt, erstmals im Jahre 1702 vom Zürcher Gelehrten Johann Jakob Scheuchzer. Dieser beschreibt in "Specimen Lithographiae Helvetiae curiosae“ (1702) den von ihm "Selenites rhomboidalis“ genannten Calcit der Kristallhöhle Kobelwald und gibt von diesen drei Abbildungen in Kupfer wieder. Die Calcite hatte Scheuchzer von Pfarrherrn Johann Henricus Faesius aus Altstätten erhalten. Die Höhle dürfte er selber nie besucht haben.

Auch in Scheuchzers späteren, deutschsprachigen Werken "Beschreibung der Naturgeschichten des Schweizerlandes“ (1706) sowie "Natur-Geschichte des Schweitzerlandes“ (1746) wird die Kristallhöhle aufgeführt und beschrieben. In der Ausgabe von 1706 bemerkt er zur Kristallhöhle:

"Auf dem hohen Gebirg Camor, Gamor, Gimmor, welches denen Appenzelleren / und Rheinthaleren die fruchtbarsten Weiden gibt / ist eine Crypta, oder hole Kruft / deren eingang so eng / dass man fast hinein muss kriechen / die inwendige gestalt aber bald 10.20. bald nur 3.4. Schuh hoch / etwan 15. etwan aber nur 4.5. Schuhe breit. Mit allem angewendten fleiss ist hr. J.H.F. hochverdienter Pfarrer und Decanus zu Altstetten hinein kommen über die 144. Schuhe / und hat darinn wargenommen / das entspringe ein klares Brunnenwasser / welches unten an dem Berg ausfliesset / und denen anwohnenden Rheinthaleren zu einem Heil=Bad dienet: das auch in diser Berghöle sich finde eine besondere art Stein" (...) "Gemeinlich heisset er Selenites rhomboidalis" (...) "Hat einen Silberglanz / gleich dem Diamant / und ist allezeit würflicht.

Dieser Selenites rhomboidalis, oder rautenförmiger Crystall findet sich zwar hin und wider in denen Schweizerischen Gebirgen / aber nirgends so schön / und vollkommen / als in obbeschriebener Höle des Appenzeller= und Rheinthalerischen Gebirgs Gamor.“

Der spätere Chronist und Bernecker Pfarrer Gabriel Walser dürfte der erste Autor gewesen sein, der die Höhle selber besucht hatte. In "Neue Appenzeller=Chronick oder Beschreibung Des Cantons Appenzell Der Jnnern = und Aussern = Rooden“ (1740) schreibt er:

"Am Fuss des Bergs Camor oder Gimmor so aber ins Rheintal gehöret, ist die weit berühmte Crystall=Höhle worinn der Stein Crystallus Islandica, von andern aber unrecht Selenites Rhomboidalis geheissen, in solcher Menge, und zwarn nicht nur gelbe und grau, sondern auch weiss, helle und hart angetroffen wird, dass man viele Centner wegführen könnte.

Dieser Stein siehet dem Crystall gleich, so offt er von einander geschlagen wird, zerfallet er allezeit in einem Rhombum, oder ablang gevierdte Figur.“

Auch in späteren Jahren wurde die Kristallhöhle Kobelwald oft beschrieben. Auf der ältesten mineralogischen Karte der Schweiz ist sie bereits als Mineralfundstelle aufgeführt. Die vom französischen Geographen Philippe Buache gezeichnete "Carte mineralogique de la Suisse" stammt aus dem Jahre 1752.

 

2.2 Entdeckung weiterer Höhlengänge und Erschliessung der Höhle

Ursprünglich waren nur die ersten rund 60 m des Höhlenganges zugänglich. Wie es zur Erschliessung weiterer Teile der Höhle kam, schildert Gyr (1934): Der Fotograph Max Burkardt aus Arbon beabsichtigte zu jener Zeit, die Kristallhöhle im Bilde festzuhalten. Dabei wurde mit Bedauern festgestellt, dass diese scheinbar ausgeplündert war. Als Jakob Gyr, Naturheilarzt in Gais, unter den fussdicken Lehmschichten genauer Nachschau hielt, kamen noch grössere "Calcitdrusen" zum Vorschein, von denen eine 25 m2 gross war. In der Folge wurde die Höhle besser zugänglich gemacht. Ebenso wurden die vorhandenen "Kristalldrusen" gereinigt.

"Eingang zur Kristallhöhle b. Kobelwald." Ansichtskarte, um 1940, mit dem ursprünglichen Höhleneingang, vor der Erweiterung desselben.

Bei dieser Gelegenheit erzählte diesem ein alter Jäger von Kobelwald, er sei vor ca. 65 Jahren einmal durch eine sehr enge Spalte am vermeintlichen Höhlenende in einen noch weiter in den Chienberg hineinführenden Gang gelangt, wo der Bach zu einem ca. 60 m langen See gestaut gewesen sei. Diese Spalte wurde schon von Walser (1740) erwähnt und wird heute Walserspalte genannt. Anfang Oktober 1934 wurde nun auf Veranlassung von Jakob Gyr mit Erfolg versucht, den Höhlenbach hinter dieser Spalte weiter zu verfolgen.

Man sprengte dazu im Bereich der heutigen Linkskurve, welche kurz nach der Verzweigung zur Calcitkluft vorzufinden ist, einen 3 m langen Stollen durch die etwa 60 m vom Höhleneingang entfernte westliche Seitenwand und konnte nun gut in den Höhlengang weiter hinten gelangen. Dabei stiess man auf einen etwa 1 m breiten und 2 m hohen Gang, dessen Boden fast überall vom Bach überschwemmt wurde. Am untersten Ende dieses neu erschlossenen Höhlenteils verschwindet das Wasser in engen Spalten, durchfliesst einen Siphon und tritt erst im vorderen Höhlenteil, in der Zweiten Halle, wieder aus. Calcit war im hinteren Höhlenteil nicht so reichlich anzutreffen, doch ein hübscher Wasserfall, interessante Gesteinsformationen und Sintergebilde machten diesen sehenswert. Aber noch war, wie Gyr (1934) festhält, das Hauptziel, die hinterste Grotte, nicht erreicht. Erst neue Sprengungen erlaubten den Erforschern damals, ca. 200 m in die Höhle vorzudringen. Als Folge der neuen Verhältnisse in der Höhle wurde nun der Höhleneingang durch ein Tor verriegelt. Damit konnten Beschädigungen verhindert werden.

Plan des anfänglich bekannten Teils der Kristallhöhle Kobelwald (gelb) mit der engen Walserspalte (grün) und mit dem in den Felsen gesprengten Stollen (rot) (Zeichnung: Hans Stünzi, aus Kürsteiner et al. 2004).

 

Ende 1934 sowie in der ersten Hälfte des Jahres 1935 wurden auf den ersten 128 m des Höhlenganges verschiedene Veränderungen vorgenommen, um diesen Bereich für Touristen begehbar zu machen. Beim Eingang wurde die Abflussspalte durch einen 20 m langen Stollen ersetzt, der auch maximale Wassermengen nach aussen abzuleiten vermag. Bisher war die tiefste Stelle des Höhlenganges bei starkem Zufluss stets überschwemmt worden. Weiter wurden im vorderen Höhlengang enge Stellen erweitert sowie der Bach teilweise in einen ausgesprengten Graben geleitet oder mit eisernen Treppen und Stegen überbrückt. Zudem wurde diese Strecke elektrisch beleuchtet. Am Ende des ausgebauten Teils, nach 128 m, wurde ein eisernes Tor angebracht, welches den uneingeschränkten Zutritt zu den weiter hinten gelegenen Höhlenteilen verwehrt.

Es mussten im hinteren Höhlenteil noch zwei Siphons, wo das Felsdach in das Wasser hineinragte, gesprengt werden. Sonst wurde dieser Höhlenteil jedoch im ursprünglichen Zustand belassen. Nun war es möglich, den Höhlenbach insgesamt 367 m ins Innere des Chienberges zu verfolgen und eine Reihe neuer Höhlenräume zu entdecken. Die damalige Erschliessung des vorderen und die Erforschung des hinteren Höhlenteils sind in Bächler (1937 und 1945) beschrieben.

 

2.3 Höhlensanierungen 1987 und 2001-2002

Im Verlaufe der Jahre entstanden an den Wegen, den Treppen sowie an der Beleuchtung verschiedene Schäden. Damit die Höhle weiter betrieben werden konnte, mussten umfangreiche Sanierungsarbeiten durchgeführt werden. Im Jahre 1987 wurden die Wände und die Decke des Höhlengangs mit einem Hochdruckgerät gereinigt. Diese waren völlig von Russ bedeckt, drangen die ersten Höhlenbesucher doch ausschliesslich mit Fackeln ins Höhleninnere ein. Weiter wurden die Beleuchtung sowie die Treppen und Stege erneuert.

Eine weitere grosse Sanierung erfolgte in den Jahren 2001/2002. Dabei wurden unter anderem die Besucherplattform zwischen Führerhaus und Höhleneingang verbreitert und überdacht, die Weganlagen vor der Höhle verbessert und eine Vitrine mit ausgestellten Kostbarkeiten aus der Höhle sowie mit Informationen angebracht. Ebenso wurde ein neuer Höhlenplan mit verschiedenen Profilzeichnungen montiert. Der Plan basiert auf Vermessungen, welche von der Arbeitsgemeinschaft für Speläologie Regensdorf in den Jahren 1999-2002 durchgeführt wurden.

Vorplatz der Kristallhöhle Kobelwald, nach der 2001/2002 erfolgten Sanierung. Foto: Armin Heinzer.

 

Gleichzeitig wurden auch in der Höhle selbst verschiedene Veränderungen vorgenommen. In der Ersten Halle wurde der Boden durch Abtrag der gesamten Lockersedimente um rund einen Meter abgesenkt. Auf dem anstehenden Höhlenboden wie auch am rechten Wandfuss kamen herrliche Partien mit zahlreichen, wunderschön ausgebildeten Calcitkristallen zum Vorschein. Im linken Bereich des Bodens befindet sich nun ein künstlich gestauter See, über welchen ein neu erstellter Steg führt.

Erste Halle nach dem Abtrag der Bodensedimente. Links der künstlich gestaute See, rechts die freigelegten Boden- und Wandpartien mit den vielen Calcitkristalllen. Foto: Marco Filipponi.

 

Anheben und Verschieben eines grossen, mit vielen Calcit-kristallen überwachsenen Gesteinsblockes, welcher in der Ersten Halle anlässlich der Höhlensanierung 2001/2002 geborgen wurde.

Foto: Peter Kürsteiner.

Stufe mit rhomboedrisch auskristallisiertem Calcit aus den Bodensedimenten der Ersten Halle. Breite 63 cm.

Sammlung Naturmuseum St.Gallen, Foto: Thomas Schüpbach.

In der Höhle weiter einwärts, nach der Metalltreppe beim kleinen Siphon der Zweiten Halle, konnte in einem kurzen Seitengang eine eigentliche Calcitkluft freigelegt werden. In dieser befinden sich am Boden, an den Wänden und an der Decke grosse, überaus schöne Calcitkristalle. Mit diesen Neuerungen konnte die Attraktivität der Kristallhöhle Kobelwald erheblich gesteigert werden.

 

3. Beschreibung der Kristallhöhle

Die Kristallhöhle befindet sich am Nordost-Abhang des Oberrieter Chienbergs, auf einer Höhe von 630 m ü M (Koordinaten 758.410 / 243.440). Der Eingang liegt in einem schmalen Felsband, welches in nordwestlicher Richtung abfällt. Die im Schrattenkalk gelegene Kristallhöhle verläuft in südwestlicher Richtung in einem markanten Querbruch, der den Chienberg durchzieht (Eugster et al. 1960). Der Hauptgang der Höhle ist, vom Eingang bis zum Siphon gemessen, 367 m lang. Davon sind die ersten 128 m ausgebaut und touristisch erschlossen. Der hintere, unerschlossene Teil des Höhlenganges ist stellenweise sehr eng und endet beim Siphon. Die Gesamtlänge der Höhle, das heisst die Summe aller bekannten Ganglängen, beträgt zurzeit 665 m (Stand 2007, inklusive die 70 m, welche bisher im Siphon getaucht werden konnten). Die Höhendifferenz zwischen dem tiefsten Punkt der Höhle, dem Ausfluss des Stollens, und dem höchsten Punkt, dem Schlot, beträgt 91 m. Der ziemlich winklig und unregelmässig verlaufende Hauptgang wird fast auf der ganzen Länge von einem Bach durchflossen.

Schematischer Plan der Kristallhöhle. Der Schauhöhlen-Teil (rot) verläuft vom Höhlen-Eingang bis zum Tor (Zeichnung: Hans Stünzi, aus Kürsteiner et al. 2004).

 

Im Folgenden soll die Höhle, zunächst der Schauhöhlenteil und anschliessend der hintere Höhlenbereich, näher beschrieben werden.

 

3.1 Schauhöhlen-Teil

Der Vorplatz der Höhle befindet sich in einer Felswand, welche vermutlich erst nach einem prähistorischen Felssturz die heutige Gestalt erhielt. Teile des umgebenden Gesteins des ursprünglich äussersten Höhlengangs dürften in früherer Zeit abgerutscht sein. Vor diesem Felssturz begann der Höhlengang wohl in der Nebenhöhle und führte entlang dem Vorplatz zum heutigen Eingang.

Nach dem Eintritt in die Höhle führt ein kurzer, steiler Gang hinunter zum Höhlenbach. Hier befindet sich die tiefste Stelle des Höhlengangs. Der Bach dürfte in früherer Zeit in östlicher Richtung durch eine unauffällige, flache Spalte abgeflossen sein. Da die tiefste Stelle bei hohem Wasserstand oft nicht begehbar war, legte man anlässlich der Höhlenerschliessung in den Jahren 1934/1935 einen künstlichen Abflussstollen an, durch welchen die Höhle seither entwässert wird.

Beim Aufgang zur Ersten Halle wird der Boden durch grosse Mengen Höhlensinter gebildet, welcher über einem derben Calcitband ohne sichtbare Kristallflächen abgelagert wurde. Das Wasser des Höhlenbachs fliesst heute der linken Wand entlang in den unteren See.

Aufgang zur Ersten Halle. Der Höhlenbach braust über die Sintertreppe.

Foto: Peter Kürsteiner.

Bei Hochwasser kann der Höhlenbach, hier neben dem Aufgang zur Ersten Halle, viel Wasser führen.

Foto: Ralph Dietsche.

In der Ersten Halle sind der Boden und die rechte Höhlenwand mit vielen rhomboedrisch auskristallisierten Calcitkristallen überzogen. Hier befindet sich eines der beiden grösseren Calcit-Vorkommen der Kristallhöhle. Anlässlich der letzten Höhlensanierung in den Jahren 2001/2002 war in dieser Halle der Sedimentboden um 1 m abgesenkt worden. Unter den Lockersedimenten kamen herrliche, intakt erhalten gebliebene Calcitpartien zum Vorschein. Der See der Ersten Halle ist künstlich angelegt. Das Wasser des Höhlenbachs hat im Jahresmittel eine Temperatur von rund 9 oC.

Calcitkristalle in der Ersten Halle. Foto: Pius Vorburger.

 

Etwas weiter hinten in der Ersten Halle ist auf der rechten Seite eine dicke Lage von Lehm zu erkennen. Es handelt sich dabei um äusserst feinkörnige, eingeschwemmte Sedimente, die hier in nur sehr langsam fliessendem oder stehendem Wasser abgelagert wurden.

Auf der anderen Seite des hier gestauten Baches befindet sich eine Sinterkaskade. Sie entstand, indem während längerer Zeit aus langsam fliessendem, stark kalkhaltigem Wasser Calcit in Form von Höhlensinter ausgeschieden wurde.

Durch eine kurze Gangverengung gelangt der Höhlenbesucher in die Zweite Halle, wo eine alte Calcit-Abbaustelle zu sehen ist. Zur Zeit des ersten Weltkrieges wurde der Calcit im vorderen Bereich der Kristallhöhle fuderweise abgebaut und anschliessend zu Putzmitteln verarbeitet. Dazu hat man den Calcit ganz fein gemahlen und als Scheuermittel benutzt.

Auf der rechten Seite der Treppe befindet sich ein Siphon: ein vollständig mit Wasser gefüllter Gangabschnitt in einem über dem Karstwasserspiegel liegenden Höhlenteil.

Zweite Halle mit dem ehemaligem Calcit-Abbaufeld.

Foto: Thomas Kühnis.

Vom Abbau verschont gebliebene Wandpartie, welcher massenhaft Calcitkristalle aufgewach-sen sind. 

Foto: Thomas Kühnis.

Vorderer Siphon, neben der Treppe im hinteren Teil der Zweiten Halle.

Foto: Pius Vorburger.

Wenige Meter nach der metallenen Treppe führt ein aufsteigender Seitengang nach links zur Calcitkluft. Die Kristalle wurden bei der Höhlensanierung des Winters 2001/02 freigelegt, als die Sedimentfüllung des Ganges grösstenteils ausgeräumt wurde. Die hier reichlich vorhandenen Lehmablagerungen lassen auf frühere Karstwasserstände schliessen. Diese Wasser flossen durch feinste Ritzen und Spalten im Gestein und weiteten den noch schmalen Höhlengang aus. Zudem trugen sie Sedimentpartikel ein und lagerten diese als Lehm ab. Als sich der Grundwasserspiegel später unter das Höhlenniveau absenkte, wurde dieser Raum – wie übrigens zeitweise die gesamte Höhle – trocken gelegt.

Weiter dem Hauptgang der Höhle folgend gelangt man zu einem im Bereich der markanten Linkskurve in das Gestein gesprengten, 3 m langen künstlichen Stollen. Durch diesen in den Jahren 1934/1935 errichteten Stollen kann nun der Höhlengang weiter hinten bequem erreicht werden. Früher war die einzige Durchgangsmöglichkeit die nach rechts verlaufende äusserst enge Walserspalte, welche in der Literatur von Walser (1740) erstmals erwähnt wurde.

Gleich nach dem Wasserfall, der sich etwas weiter hinten im Höhlengang befindet, sind verschiedene Versinterungen zu sehen: über den Höhlengang spannt sich eine aus Sinter gebildete Brücke und auf der linken Wandseite ist eine Sinterkaskade entstanden.

Sinterbrücke, zwischen den beiden Wänden des Höhlengangs gespannt.

Foto: Peter Kürsteiner.

Mehrere Meter weiter hinten im Höhlengang mündet im untersten Bereich der rechten Höhlenwand eine Quelle ein. Manganhaltiges Wasser dürfte zu den schwarzen Verfärbungen am Wandfuss geführt haben.

Quelle am Wandfuss mit dunklen Verfärbungen. 

Foto: Ralph Dietsche.

Schräg gegenüber der Quelle befindet sich auf der linken Seite des Höhlengangs eine Tropfstelle. Interessant sind die hier abgelagerten Kieselsteinchen. Neben verschiedenen Arten von Kalkstein treten vereinzelt auch metamorphe, kristalline Komponenten auf, die nicht aus der Schichtabfolge der Säntis-Decke stammen. Es ist davon auszugehen, dass diese aus eiszeitlichen Ablagerungen des einstigen Rheintal-Gletschers stammen und später durch Ritzen und Spalten in die Höhle eingeschwemmt wurden.

Auf der rechten Bachseite, direkt gegenüber der Tropfstelle, befindet sich auf halber Wandhöhe eine Öffnung. Durch diese kann man in den Thomasgang gelangen. In diesem im Jahre 2002 erstmals befahrenen Gang sind ein Wasserfall sowie schöne Sintergebilde zu bestaunen. Interessant sind Wandpartien, denen viele rhomboedrisch auskristallisierte Calcite aufgewachsen sind. An vielen dieser Kristallen ist die Korrosion (chemische Kalkauflösung) gut erkennbar: bei ihnen erscheint die Oberfläche angeätzt oder angelöst. Andere Calcite wirken infolge der erosiven Wirkung des Wassers (mechanischer Einfluss) wie geschliffen. Ihre Kanten sind abgerundet worden. Auch die Sinterbildungen sind ankorrodiert.

Noch weiter dem Höhlengang folgend gelangt man zu einer Stelle, wo sich mehrere Sturzblöcke befinden, die sich einst von der Decke gelöst haben. Auf diesen Sturzblöcken sind verschiedene Versinterungen entstanden. Ein stehender Tropfstein, ein Stalagmit, hat die Form einer Eule. Hinter dieser befindet sich eine schräg gelagerte Sinterplatte. Neben der Eule ist ein Tropfstein gewachsen, welcher von der Seite betrachtet die Gestalt eines Höhlengeistes hat.

Links Sturzblock mit Tropfstein in der Form einer Eule, am Sturzblock rechts im Bild ist der Bart des "Höhlengeistes" zu erkennen.

Foto: Peter Kürsteiner.

Kurz vor dem Tor, welches den ausgebauten Teil der Höhle vom in natürlichem Zustand erhalten gebliebenen Teil trennt, verläuft im Gestein ein steiler, 6 m hoher Bruch. Auch dieser enthält an verschiedenen Stellen Calcitkristalle in der Skalenoeder-Form. An der linken Kluftwand befinden sich, teilweise den Calcitkristallen aufgelagert, schöne Versinterungen.

 

3.2 Hinterer Höhlenteil

Gleich hinter dem den Schauhöhlenteil abschliessenden Tor bleiben die Gangdimensionen eher bescheiden. Die Gangsohle wird hier vollständig vom Höhlenbach eingenommen. Der Gangverlauf zeichnet eine leichte Zickzack-Form.

Nach einem Richtungswechsel des Höhlengangs gelangt man bald zur so genannten Dusche. Nach der Dusche ist der Gang trocken (fossil) und verläuft 4 m oberhalb des Wasserlaufs. Hinter der Kletterstelle des Wasserfalls folgt der Höhlengang für wenige Meter einer markanten Kluft mit vielen Calcitkristallen.

Nach weiteren fünfzehn Metern vereint sich der obere Gang wieder mit dem Lauf des Höhlenbachs. Der Gang wird nun tiefer. Hinter der Kurve ändert sich der Charakter des Höhlengangs zu einem immer höher werdenden Mäander.

Der folgende, mäandrierende Gangabschnitt ist genügend breit und so hoch, dass man den kluftgebundenen Richtungswechseln gemütlich folgen kann. Weiter hinten ist auf Kopfhöhe eine geöffnete Schichtfuge zu sehen, die sehr eng ist und mehrere Meter weit nach links oben zieht. Bald wird der Gang wieder schmaler und man gelangt zur Engstelle. Diese ist aber nur wenige Meter lang, sodass sie kein grösseres Hindernis darstellt.

Bezwingung der Engstelle im hinteren Teil des Höhlengangs.

Foto: Hansueli Schefer.

Hinter dieser Engstelle sind die Gänge wieder so hoch, dass sie aufrecht befahren werden können. Der mäandrierende Gangcharakter wird beibehalten, wobei die Windungen nun etwas in die Länge gezogen sind. In einzelnen Windungen haben sich bis zu metertiefe Becken (Kolke) in die Gangsohle gefressen. Hier findet man perfekte Schlüsselloch-Profile, bei denen die phreatische Ellipse und die Schichtfuge, aus welcher sie entstanden sind, gut erkennbar sind.

Der nun schluchtartige Gang wird immer höher, und das Wasser rauscht - selbst bei niedrigem Wasserstand - immer lauter. Man nähert sich dem Wasserfall, einer Serie von drei kurzen Kletterstellen, bei denen ein Höhenunterschied von rund 10 m bezwungen werden muss.

Balancieren über ein Wasserbecken am unteren Ende des Wasserfalls.

Foto: Marco Filipponi.

Den Kletterstellen folgt eine der faszinierendsten und interessantesten Stellen der Kristallhöhle. Der Gang weist hier ein schönes Schlüsselloch-Profil auf, wobei die Ellipse leicht schräg liegt und an eine Schichtfuge gebunden ist. Das vadose Gerinne ist relativ schmal eingeschnitten. Die Höhlendecke besteht aus einer Vielzahl von Tropfsteinen verschiedener Formen. Diese sind nicht besonders gross, dennoch bieten sie ein bezauberndes Schauspiel an Formen und Farben (von weiss bis rot).

Auf der Schulter der ursprünglichen Gangellipse liegen feinkörnige Sedimente, die einzelne feine Sinterlagen aufweisen und von einer Sinterplatte bedeckt sind, auf der sich nachträglich kleine Stalagmiten gebildet haben.

Roter Tropfstein an der Höhlendecke.

Foto: Thomas Kühnis.

Vom Wasser unterspülte Sinterplatte auf Sedimentpaket. Foto: Hans Stünzi.

 

Zwei Biegungen später öffnet sich der Gang zu einer kleinen, hohen Halle mit prachtvollem Tropfstein-Schmuck. Auf halber Höhe dieser Halle führt eine enge Röhre nach oben: der Eingang zum Schlot. Beim Hinaufklettern kommt aber bald eine Engstelle. Dieser folgt eine geräumige Halle, deren Decke sich im Dunklen verliert. Hier kommt man nur noch mit technischer Kletterei weiter. Nach einem Höhenunterschied von 16 m folgen drei weitere vertikale Schachtstufen! Zuletzt kann noch ein vertikaler Kriechgang erklommen werden, welcher 57 m über dem Hauptgang mit Versturzblöcken verstopft ist. Hier befindet man sich nur noch ca. 10 m unter der Erdoberfläche.

Folgt man bei der Abzweigung hingegen dem Bach, so gelangt man zu einem See, bei welchem die Höhle zu enden scheint. Bei diesem handelt es sich um den Siphon, bei welchem der Höhlengang unter dem Wasserspiegel weiter ins Innere des Berges zieht. Mit Tauchgängen wird versucht, die hintersten Teile der Höhle zu erforschen (Hohl 2004).

Beim hinteren Siphon - derHöhlengang verläuft hier noch weiter ins Innere des Berges.

Foto: Marco Filipponi.

 

4. Calcit und Calcitlager

4.1 Das Mineral Calcit

Die Mineralart Calcit ist Hauptgemengteil des Schrattenkalks, in welchem die Kristallhöhle entstand. Zudem bildet er derbe Calcitadern oder Spaltenfüllungen ohne Kristallisationsflächen, die das Gestein durchziehen.

In Kluftrissen und grösseren Klufthohlräumen (wie sie von der Kristallhöhle angeschnitten wurden), wo zur Kristallisation genügend Platz vorhanden war, kann das Mineral aber schön ausgebildet sein. Daneben kann sich Calcit als Sinter ausscheiden.

Beim Mineral Calcit handelt es sich um Calciumkarbonat CaCO3. Er weist eine Härte von 2-3 sowie eine Dichte von 2.71 auf. Calcit ist in der Kristallhöhle Kobelwald am häufigsten als Rhomboeder auskristallisiert. Die Kantenlängen der Rhomboeder können mehr als 20 cm betragen. Bei den rhomboedrisch ausgebildeten Calciten kommen auch formenreiche Kombinationen vor. Ebenfalls recht häufig ist das Mineral als Skalenoeder ausgebildet. Diese können Längen von bis zu 30 cm erreichen. Bezüglich der Kristallform des Minerals fällt auf, dass im vordersten Höhlengang, bis zum Wasserfall, lediglich die Rhomboeder-Form anzutreffen ist, während in der Höhle weiter hinten sowohl die Skalenoeder-Form als auch – hier allerdings seltener – die rhomboedrische Ausbildung vorkommen.

Rhomboedrisch ausgebildeter Calcit. Breite 13 cm.

Sammlung Peter Kürsteiner, Foto: Stefan Rohner.

Zwei ineinander verwachsene Calcit-Rhomboeder. Breite 3.5 cm.

Sammlung Peter Kürsteiner, Foto: Thomas Schüpbach.

Skalenoedrisch ausgebildeter Calcit. Länge 15 cm.

Sammlung Peter Kürsteiner, Foto: Thomas Schüpbach.

Die Calcite sind weiss oder in verschiedenen Grautönen gefärbt. Die Graufärbung des Minerals wird durch Einschlüsse von Tonpartikeln verursacht. Die Farben können bei einzelnen Kristallen zonenweise variieren. Dabei entstehen, in seltenen Fällen, phantomähnliche Gebilde. Bei solchen Kristallen haben sich die Wachstumsbedingungen während der Mineralbildung verändert, sodass diese innen eine andere Farbe als aussen aufweisen.

Auch farblos-durchsichtige Kristalle mit Doppelspat-Charakter kommen vor: Die Doppelbrechung des Lichts kann an solchen farblosen Calciten gut beobachtet werden. Das Mineral hat die Eigenschaft, einen einfallenden Lichtstrahl in zwei Strahlen zu zerlegen, welche dann auf getrennten Wegen den Kristall durchlaufen und auch verlassen. Legt man ein klares Spaltrhomboeder auf ein mit einer Linie versehenes Papier, dann erscheint diese Linie, durch den Calcit betrachtet, doppelt. Die Distanz der beiden beobachteten Linien ist abhängig von der Dicke des Kristalls: je dicker der Kristall, umso weiter können die beiden Linien auseinander zu liegen kommen. Die eine Linie liegt im Kristall höher als die andere. Wenn dieser auf seiner Unterlage gedreht wird, bleibt die eine Linie an Ort und Stelle, während die zweite eine kreisende Verschiebung erfährt.

Die Calcitkristalle der Kristallhöhle sind häufig mit einer Lehmschicht überzogen. Das Mineral weist einen schönen Oberflächenglanz auf. An verschiedenen Stellen der Kristallhöhle finden sich aber auch Kristalle, die als Folge der Korrosion meist angeätzt sind. Deren Oberfläche fühlt sich dadurch rauh an.

Rhomboedrischer Calcitkristall, teilweise eingebettet in knollenförmigen Sinter. Breite Sintergebilde 16 cm.

Sammlung Peter Kürsteiner, Foto: Thomas Schüpbach.

 

4.2 Die Calcitlager in der Höhle

Das Vorkommen des Calcits konzentriert sich auf verschiedene Bereiche des vorderen, ausgebauten Höhlenteils. Im hinteren Teil der Höhle, nach dem Tor, findet sich das Mineral nur noch vereinzelt und in spärlicher Menge. Die Calcitvorkommen treten als Kluft- und Gangfüllungen mit einzelnen Hohlräumen auf. Sie sind im vorderen Teil der Höhle mehr oder weniger parallel zur Gesteinsschichtung orientiert und gehen im hinteren Teil in ein steil verlaufendes Bruchsystem über.

Nachfolgend sollen die verschiedenen Zonen, in welchen in der Höhle Calcitkristalle vorkommen, beschrieben werden:

Die grössten Calcitlager befinden sich in der Ersten sowie in der Zweiten Halle. Hier sind ganze Wandpartien von rhomboedrischen Calciten überzogen. Dabei handelt es sich meist um einfache Rhomboeder, seltener um Rhomboeder-Kombinationen oder um Zwillingsbildungen. Die Kantenlängen der Rhomboeder können mehr als 20 cm betragen.

Leider sind in diesem vordersten, bereits ursprünglich zugänglichen Bereich der Höhle viele Calcite abgeschlagen worden; Die schönsten, intakt gebliebenen Kristallpartien, welche erst anlässlich der letzten Höhlensanierung freigelegt wurden, befinden sich beim Stausee in der Ersten Halle. Hier sind im Bereich des Bodens und des unteren rechten Wandteils zahlreiche wunderschöne Calcit-Rhomboeder zu bestaunen, welche heute sicher die Hauptattraktion der Höhle darstellen.

Wandpartie der Ersten Halle mit vielen Calcitkristallen.

Foto: Pius Vorburger.

Calcit-Gruppe, welche in der Ersten Halle beim Abtragen der Bodensedimente geborgen werden konnte. Diese Stufe kann heute anlässlich einer Höhlenführung bestaunt werden. Foto: Thomas Kühnis.

 

Etwas höhleneinwärts, in der sogenannten Calcitkluft, finden sich an Boden, Wänden und Decke grosse rhomboedrisch auskristallisierte Calcite. Auch diese wurden anlässlich der Höhlensanierung 2001/2002 freigelegt. Zuvor waren sie von einer dicken Lehmschicht überzogen.

Weiter hinten im ausgebauten Höhlengang kommen die Calcitkristalle weniger häufig vor. Das Mineral ist hier oft als Skalenoeder ausgebildet. Diese können Längen von bis zu 30 cm erreichen. Die Kristalle sind an ihrer Oberfläche meist angeätzt, sodass sie ihren Glanz verloren haben. Daher pflegen diese als Skalenoeder auskristallisierten Calcite auf den Besucher einen geringeren Eindruck zu machen als die grossen Kalkspatlager der Ersten und Zweiten Halle.

Hinter dem ausgebauten Höhlenteil bis etwa zur Dusche finden sich die Calcitkristalle in schlotartig erweiterten Klüften. Hier ist der Calcit weniger auffällig, angeätzt oder von Lehm überzogen.

 

5. Entstehungsgeschichte

Die Kristallhöhle Kobelwald verläuft zum Teil entlang tektonischer Bruchzonen im Schrattenkalk, die im Tertiär während der Deformation der Säntis-Decke entstanden sind. Die Calcitkristalle der Kristallhöhle bildeten sich als hydrothermale Mineralausscheidungen in Gesteinshohlräumen entlang dieser Brüche. Die Entstehung der Kristallhöhle erfolgte wesentlich später, vor etwa 100'000 Jahren, als durch die korrosive Tätigkeit der Sickerwässer entlang von Trennflächen ein Netz von Karströhren entstand, wobei die mit Calcitkristallen gefüllten Brüche teilweise miteinbezogen wurden und dadurch der heutige Höhlengang entstand.

Im Folgenden sollen die Entstehung des Calcits, die Höhlenbildung und schliesslich die Entstehung von Sinter kurz erläutert werden. Weiterführende Erläuterungen zur Mineralbildung finden sich in Kürsteiner & Soom (2007). Genauere Angaben zum Karst, zur Höhlenbildung (speziell zu jener der Kristallhöhle Kobelwald) und zu den Höhlensedimenten sind in Kürsteiner et al. (2004) aufgeführt.

 

5.1 Entstehung des Calcits

Der ganze Alpstein besteht aus Sedimentgesteinen der Säntis-Decke aus der Kreidezeit, die vor rund 100 Millionen Jahren am Südrand des Aarmassivs (entsprechend der heutigen Region südlich Chur) abgelagert wurden.

Aufgrund des Zusammenschubes der afrikanischen mit der europäischen Platte wurden die Gesteinsschichten der Säntis-Decke und der sie überlagernden Einheiten von ihrer ursprünglichen Basis abgeschert, verfaltet und gegen Norden auf das Molassevorland überschoben. Dabei wurden die verschiedenen Gesteine deformiert und es entstanden in der Längsrichtung der Faltenachsen der Säntis-Decke und quer dazu Brüche und Verwerfungen, welche den gesamten Gesteinsstapel steil durchziehen. Bei der Kristallhöhle verläuft das massgebende Bruchsystem quer zu den Faltenachsen, es handelt sich deshalb um Querbrüche. Im vorderen, erschlossenen Teil der Höhle haben die mineralführenden Hohlräume die Form eines elliptischen, flachliegenden Kluftkörpers, der im hinteren Teil in ein steil verlaufendes Bruchsystem übergeht.

Tektonische Brüche im Gebiet Chienberg (aus Kürsteiner et al. 2004).

Entlang dieser Brüche zirkulierten niedrigtemperierte, hydrothermale Lösungen. Diese lösten das karbonatische Nebengestein teilweise auf, wobei sich Karbonat- und Calcium-Ionen in der Lösung bis zur Sättigung anreicherten. Für die Löslichkeit der Karbonatmineralien sind vor allem der pH-Wert der hydrothermalen Lösung sowie der CO2–Partialdruck ausschlaggebend. Es muss deshalb angenommen werden, dass bei der Mineralausscheidung auch Änderungen des Kohlensäuregehaltes der hydrothermalen Lösung, eventuell bedingt durch Druckentlastung oder Ausgasen von CO2, eine wichtige Rolle spielten.

Im weiteren Verlauf des Zusammenschubes der beiden Kontinentalplatten und der damit verbundenen Krustenverdickung setzten Hebungsbewegungen ein, wobei die Gesteine der Säntis-Decke und der höher liegenden Einheiten in zunehmendem Mass der Verwitterung und erosiven Kräften ausgesetzt wurden. Dadurch nahm die Gesteinsmächtigkeit über den mineralführenden Hohlräumen sukzessive ab. Als Folge dieser Abnahme sanken sowohl die Temperatur als auch der Gesteinsdruck. Die hydrothermale Lösung wurde deshalb in zunehmendem Masse an gelösten Mineralstoffen übersättigt. Der nun von der Lösung abgegebene Calcit lagerte sich gesetzmässig an bereits vorhandenen Kristallkeimen an - es erfolgte die Bildung der Calcitkristalle. Auf der Oberfläche der Calcite abgelagerte Mineralbruchstücke deuten darauf hin, dass während des Mineralwachstums mehrmals Erschütterungen stattgefunden haben, die auf andauernde, tektonische Bewegungen hinweisen.

Weiterführende Angaben zur Entstehung dieser wässerigen Lösungen liefern Einschlussuntersuchungen an einigen Calcitbruchstücken, die von der AGS-Regensdorf für wissenschaftliche Zwecke gesammelt und von P. Häuselmann im Jahr 2001 am Geologischen Institut der Universität Bern analysiert worden sind. In den Calcitkristallen sind winzige, Mikrometer grosse Einschluss-Hohlräume mit Resten der ursprünglichen Lösung vorhanden. Diese wurden unter einem Mikroskop, das mit einem Heiz- und Abkühltisch ausgerüstet ist, untersucht. Dabei wurden die Mineralproben zur Bestimmung des Salzgehaltes der Einschlüsse unter den Gefrierpunkt des Wassers abgekühlt und zusätzlich zur Bestimmung der Homogenisationstemperatur über 100 °C erhitzt. Es wurden nun die in den Einschlusshohlräumen stattfindenden Phasenänderungen beobachtet. Die Ergebnisse können wie folgt interpretiert werden: die untersuchten Einschlüsse wurden bei ca. 110 °C vom umgebenden Calcit eingeschlossen, was näherungsweise dessen Bildungstemperatur entspricht. Unter der Annahme eines geothermischen Gradienten von ca. 25 °C pro Kilometer würde dies bedeuten, dass die Mineralvorkommen zum Zeitpunkt ihrer Bildung von einer Gesteinssäule von etwa 4 km Mächtigkeit überlagert waren. Allenfalls vorhandene aufsteigende Thermalwässer hätten eine lokale Erhöhung des Temperaturgradienten zur Folge. In diesem Falle wäre die zur Erreichung der Temperatur von 110 °C notwendige Überlagerung entsprechend geringer gewesen.

Die Einschlüsse weisen zudem einen geringen Salzgehalt von maximal 2 Äquivalentprozent Natriumchlorid (Anteil an gelöstem Salz unter der Annahme, dass es sich vorwiegend um Kochsalz handelt) auf, was auf eine wenig mineralisierte und möglicherweise vorwiegend durch einsickerndes Meteorwasser beeinflusste hydrothermale Lösung hinweist.

Schematische Darstellung der Mineral-entstehung (Zeichnung Michael Soom, aus Kürsteiner et al. 2004):

A: Tektonische Spannungen führen zu Rissen und Bruchsystemen im Schratten-kalk.

B: Heisse, hydrothermale Wässer dringen bei andauernden, tektonischen Bewegungen in das Bruchsystem ein und lösen das Nebengestein teilweise auf.

C: Bei sinkenden Gesteinstemperaturen und Drücken wachsen in der hydrothermalen Lösung Calcitkristalle; andauernde, tekto-nische Erschütterungen führen zu Fremd-einschlüssen auf den nach oben gerichteten Calcitflächen.

Über das geologische Alter der Mineralbildungen lässt sich nur spekulieren, weil verlässliche Angaben über deren zeitliche Einordnung nicht vorhanden sind. Die Haupt-Deformationen der Säntis-Decke erfolgten im frühen Oligozän vor rund 35 Millionen Jahren. Es bestehen Hinweise, dass die Anlage einzelner vertikaler Bruchsysteme zum Teil auch relativ früh erfolgte. Die Deformationen dauerten allerdings bis ins Pliozän, d.h. bis vor etwa 5 Millionen Jahren, an. Die Kristallisation der Calcite kann sich somit über einen längeren Zeitraum erstreckt haben; sie lässt sich zeitlich aber klar von der nachfolgenden Höhlenbildung abgrenzen.

Ausführlichere Angaben zu den Mineralbildungen sind in Kürsteiner & Soom (2007) aufgeführt.

Bruchspalte vor dem Tor am Ende des Schauhöhlenteils. An den Wänden sind viele Calcitkristalle gewachsen. Diesen sind vereinzelt Sinterbildungen aufgelagert.

Foto: Pius Vorburger.

 

5.2 Höhlenbildung

Wie eingangs erwähnt, erfolgte die Höhlenbildung wesentlich später, vor etwa 100'000 Jahren. Infolge der korrosiven Tätigkeit der Sickerwässer entlang von Trennflächen im Gestein entstand ein Netz von Karströhren, die Kristallhöhle.

Die chemische Auflösung des Kalks (Korrosion) bestimmt - neben der mechanischen Verwitterung (Erosion) - die Entwicklung einer Karstlandschaft, im Falle der Kristallhöhle die Entstehung der Höhlengänge. Im Folgenden sollen die komplexen Verhältnisse der chemischen Kalklösung kurz erklärt werden.

Kalk und Wasser: Im Kalk - Calciumkarbonat (CaCO3) - sind positiv geladene Calcium-Ionen (Ca2+) und negativ geladene Karbonat-Ionen (CO32-) gitterartig angeordnet und „haften“ wegen der elektrostatischen Anziehung aneinander. Wasser als Dipol kann nun Kalk lösen, indem es seine negative Seite an die Calcium-Ionen und die positive an die Karbonat-Ionen anlagert.

Übergiesst man Kalk mit Wasser, so stellt sich mit der Zeit das Gleichgewicht zwischen dem Kalk und den gelösten Komponenten Ca2+ und CO32- ein. Dabei kann sich soviel Kalk lösen, bis das Produkt der Konzentrationen [Ca2+]x[CO32-] einen temperaturabhängigen konstanten Wert erreicht hat. Bei 10°C entspricht dies einer Löslichkeit von nur gerade 11 mg Kalk pro Liter Wasser.

Gleichgewichts-Reaktionen bei der Kalk-lösung. Die Doppelpfeile deuten an, dass alle diese Reaktionen reversibel sind (Schema: Hans Stünzi, aus Kürsteiner et al. 2004).

Bei Kalk und Säure: Gibt man eine Säure (H+) zur Mischung von Kalk und Wasser, bildet sich aus dem Karbonat (CO32-) das Bikarbonat (HCO3-), das sich nicht mit Calcium-Ionen zu einem Festkörper verbinden kann. Da diese Reaktion dem Kalklösungs-Gleichgewicht das Karbonat entzieht, kann sich weiterer Kalk lösen.

Mit einem Überschuss an Säure reagiert Bikarbonat weiter und es entsteht Kohlensäure (H2CO3), die ihrerseits mit gasförmigem CO2 (Kohlendioxid) im Gleichgewicht steht.

Auch Kohlensäure kann mit Karbonat reagieren (CO32- + H2CO3  2 HCO3-) und bewirken, dass Kalk aufgelöst wird, was vereinfacht in der folgenden Gleichung ausgedrückt wird:

CaCO3 + H2O + CO2  Ca2+ + 2 HCO3-

Kalklösung in der Natur: Die Luft enthält normalerweise 0.035 % CO2. Im Kontakt mit dieser Luft kann Regenwasser ca.1 mg CO2 pro Liter aufnehmen, was das Kalklösungsvermögen des Wassers nicht wesentlich erhöht. Bleibt aber Regenwasser auf einem Kalkfelsen liegen, so wird CO2 durch die Kalklösung verbraucht und es kann wieder neues CO2 von der Luft ins Wasser diffundieren. Auf diese Weise können sich schlussendlich 62 mg Kalk pro Liter Wasser lösen.

Anders ist die Situation, wenn der Boden eine Vegetation trägt. Da die Bodenluft dann viel CO2 (im Extremfall bis zu 20 %) enthält, kann das Wasser entsprechend mehr CO2 aufnehmen. Auf dem Weg durch die Matrixporen (dreidimensionale Hohlräume um die einzelnen Gesteinskörner) vermag solcherart CO2-gesättigtes Wasser einige 100 mg Kalk pro Liter zu lösen.

Die Entstehung einer Höhle ist ein mehrphasiger Prozess und kann folgendermassen skizziert werden.

In der Initialphase ermöglichen tektonische Trennflächen einen bescheidenen laminaren Grundwasserfluss. Infolge der oben beschriebenen Kalklösung werden diese Trennflächen allmählich erweitert.

In der Phase der phreatischen Erweiterung nehmen die dominanten Karströhren an Grösse zu. Die Erweiterung verläuft nun schneller als in der Initialphase, da neben der korrosiven Tätigkeit des Wassers auch die Erosion wirksam wird. Da die Wässer die Karströhre ausfüllen, erhält letztere einen kreis- bis linsenförmigen („elliptischen“) Querschnitt.

In der folgenden Phase der vadosen Gangerweiterung, nachdem eine Eiszeit das Tal (Vorfluter-Niveau) tiefer gelegt hat, was eine Absenkung des Grundwasserspiegels zur Folge hat, entleeren sich die Gangpartien und es fliesst höchstens noch ein Höhlenbach. In dieser Phase wird nur noch die Gangsohle der Höhle erweitert, es entsteht ein eingetiefter Wasserlauf. Später kann eine Höhle trocken fallen.

In Zeiten von nur geringem Wasserfluss können sich feine Sedimente wie Sand und noch kleinere Körner, welche zuvor im schneller fliessenden Wasser mittransportiert wurden, ablagern: Phase der Verfüllung. Von solchen Ereignissen zeugen die in der Kristallhöhle Kobelwald stellenweise reichlich vorhandenen Lehmablagerungen. Die Schichtung der Sedimentpakete deutet darauf hin, dass sich mehrere Phasen von stark fliessendem Wasser und von stockendem Fluss abgewechselt hatten, bevor die Höhle trocken viel.

Bei später wieder einsetzendem Wasserfluss – in der Phase der Reaktivierung – wird ein Teil der abgelagerten Lockersedimente wieder weggespült. Der Wasserlauf tieft sich weiter ein, es können tiefe Schluchten oder Mäander (Gänge mit tief eingeschnittenem Schlüsselloch-Profil) entstehen.

Fünf deutlich unterscheidbare Phasen der Höhlenbildung im hinteren Teil der Kristallhöhle: (1) Initialphase, (2) phreatische Erweiterung, (3) Verfüllung bei nur langsam fliessendem Wasser und Sinterbildung, (4) Reaktivierung: ein Grossteil der abgelagerten Lockersedimente wird wieder weggespült, (5) vadose Erweiterung: Eintiefung des Wasserlaufes, es entsteht ein so genanntes Schlüsselloch-Profil (Illustrationen: Hans Stünzi, aus Kürsteiner et al. 2004).

Zum Alter der Kristallhöhle kann nach Kürsteiner et al. (2004) folgende Hypothese postuliert werden: Als früheste Möglichkeit der Entstehung der Höhle (Initialphase) kann die Warmzeit zwischen den letzten beiden Eiszeiten (Riss und Würm) angenommen werden. Die Phase der phreatischen Erweiterung dürfte mit 10'000 – 20'000 Jahren relativ kurz gewesen sein. Für die Phase der Verfüllung dürfte eine Eiszeit, möglicherweise die Würm-Eiszeit 90'000 – 15'000 Jahre vor heute, verantwortlich sein. Die Reaktivierung des Wasserflusses dürfte vor wenigen Tausend Jahren erfolgt sein. Es ist davon auszugehen, dass die Höhle in einiger Zeit wieder trocken fallen wird, sobald das Wasser tiefer gelegene Klüfte erreicht und ausgeweitet hat. Eine kleine aktive Quelle am Wandfuss unterhalb der Stollenmündung gibt entsprechende Hinweise.

 

5.3 Entstehung des Sinters

In der Kristallhöhle finden sich – hauptsächlich im hinteren Höhlenteil – zuweilen schöne Sintergebilde wie Stalaktiten, Stalagmiten, Sinterröhrchen oder Sinterbezüge. Beim Sinter handelt es sich um eine harte, meist grobkristalline Ausscheidung von Calcit (CaCO3) aus nur langsam fliessendem oder ruhendem Wasser. Auch die Sinterbildung, also die Ausfällung des Kalks, ist vom CO2-Gehalt des Wassers abhängig.

Tropfsteine (sogenannte Stalaktiten) im hinteren Höhlenteil.

Foto: Peter Kürsteiner.

Die Kalklösung/Kalkausfällung ist ein Gleichgewicht: Wenn CO2 zu Wasser „gegeben“ wird, kann sich Kalk lösen, wenn CO2 „weggenommen“ wird, fällt der Kalk wieder aus:

Ca2+ + 2 HCO3-  CaCO3 + H2O + CO2

Wenn also kalkgesättigtes Wasser aus Poren in einen Hohlraum tropft, dessen Luft einen tieferen CO2-Gehalt aufweist, muss das Wasser wieder CO2 abgeben. Es kommt deshalb zur Ausfällung von Kalk. Wegen des langsamen Entweichens von CO2 wird der Kalk „geordnet“ abgelagert und bildet schöne Sinterformationen wie z.B. Tropfsteine.

Alter, rekristallisierter Höhlensinter mit rhythmischem Wachstum, hervorgerufen durch verschieden farbige Fremd-einlagerungen; in der Bildmitte Negativ-Abdruck eines Calcitkristalls. Breite 13 cm. Foto: Thomas Schüpbach.

 

Calcitkristall mit Überzug von Höhlensinter; der Sinter ist in feinen Schichten oder blumenkohlartig ausgebildet und entstand in unterschiedlich rasch bewegtem Wasser des Höhlenbaches. Höhe 11 cm.

Sammlung: Peter Kürsteiner, Foto: Thomas Schüpbach.

Tritt kalkgesättigtes Wasser aus einer Höhle an die Oberfläche, können Wirbel in Wasserfällen das CO2 schnell aus dem Wasser austreiben. Die dabei resultierende Kalkausfällung wird als Tuff bezeichnet und kann beim Ausfluss des Kristallhöhlenbachs beobachtet werden.

 

Literaturverzeichnis

Bächler H. (1937): In der Kristallhöhle von Kobelwald. - St. Galler Jahresmappe 1937, 81-83.

Bächler H. (1945): Untersuchungen über die Entstehung einiger Höhlen im Säntisgebirge. - Bericht über die Tätigkeit der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft 71, 68-143.

Eugster H., Fröhlicher H. & Saxer F. (1960): St. Gallen–Appenzell. Geologischer Atlas der Schweiz 1:25'000, Erläuterungen 23. - Kümmerly & Frey AG, Bern.

Gyr J. (1934): Neues von der Kristallhöhle am Kienberg. - St. Galler Tagblatt, 18. Oktober 1934.

Hohl M. (2004): Kristallhöhle Tauchvorstoss 19. Juni 2004. - AGS-INFO 1/04 (Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft für Speläologie Regensdorf), 38-40.

Kürsteiner P. & Soom M. (2007): Mineralien im Alpstein. – Appenzeller Verlag, Herisau.

Kürsteiner P., Stünzi H. & Filipponi M. (2004): Die Kristallhöhle Kobelwald. - Verkehrsverein Kobelwald, Oberriet.

Scheuchzer J. J. (1702): Specimen Lithographiae Helvetiae curiosae. - David Gessner, Zürich.

Scheuchzer J. J. (1706): Beschreibung der Naturgeschichten des Schweizerlandes. - J.J. Scheuchzer, Zürich.

Scheuchzer J. J. (1746): Natur-Geschichte des Schweitzerlandes. - David Gessner, Zürich.

Walser G. (1740): Neue Appenzeller=Chronick oder Beschreibung Des Cantons Appenzell Der Jnnern = und Aussern = Rooden. - G. Walser, St. Gallen.

 

Kartenverzeichnis

Geologische Karte: Ludwig A., Saxer F., Eugster H. und Fröhlicher H. (1949): St. Gallen–Appenzell. - Geologischer Atlas der Schweiz 1:25'000, Atlasblatt 23.

Mineralogische Karte von Buache Philippe (1752): in Guettard Jean-Etienne (1756): Mémoire dans lequel on compare le Canada à la Suisse, par rapport à ses minéraux, seconde partie, Description des Minéraux de la Suisse, - in: Histoire de l’académie royale des sciences, année 1752, avec les Mémoires de Mathématique & de Physique, … - Paris, 1756, 323-360.